Der Mensch ist […] die untheilbare Einheit eines doppelten Wesens, der Natur und des Geistes, und ist auch nur vermöge dieser Einheit der Befreier der Natur von der Gewalt der Materie. Aber es ist auch eben nur die Natur selbst, d. h. die Naturkraft, nicht etwa die Naturgestaltung in ihren Bildungen, welche in dem Menschen befreit ist, die Naturkraft ist jetzt freie Thätigkeit worden, und als solche ist sie von der Materie befreit. Aber die Natur, welche aufhört Kraft zu sein, hört auch auf Natur zu sein, es liegt daher in der Offenbarung der Naturbefreiung, d. h. in der Erscheinung des Menschen, unmittelbar die Forderung an die Natur sich selbst aufzugeben, sich zu entäußern und zu verläugnen, und nur in der Vollziehung dieser Forderung ist die Natur befreit. Aber diese Forderung wird nicht vollzogen. Die Natur will nicht frei sein in dem Menschen sofern er Geist, sondern sofern er Natur ist, d. h. sie will nicht in dem Geist, sondern in ihr selbst frei sein, und daher ist in dem Menschen, so wie er nur gesetzt ist, zugleich der innere Zwiespalt zwischen Natur und Geist gesetzt, […] der der Grund ist, daß der Mensch als Einheit von Natur und Geist nicht ein seiender sondern werdender ist, d. h. daß er zu seinem wahren Wesen sich nur als Geschlecht geschichtlich entwickeln kann, und auch nur am Ende dieser Entwickelung, wenn es anders ein solches giebt, in seinem wahren Wesen persönlich erscheinen kann.
Braniss, C.J. (1824). Ueber Schleiermachers Glaubenslehre. Ein kritischer Versuch: 162f.